Lene Berg (NO), Persijn Broersen & Margit Lukács (NL), Raymond Taudin Chabot (NL), David Claerbout (BE), Claudia Hardi (CH), Jason Salavon (USA), Minnette Vári (ZA), Patrick Ward (GB)

Was Konjunkturritter, Wirtschaftsplaner, Zukunftsforscher und Wachstumsprofiteure fürchten, führt bei Anderen eher zur Entlastung von den Zumutungen des Lebens: der Stillstand, das Null-Wachstum. Das Langsamer-werden und das Zur-Ruhe-kommen verweigern sich dem Diktat des „Schneller, Höher, Weiter“ und dem Slogan des „Stillstand bedeutet Rückschritt“. Die Maxime „Weniger ist Mehr“ ließe sich so zu „Gar nicht mehr ist Alles“ steigern. Bedarf das Nachdenken über das eigene Leben und die Gesellschaft denn nicht auch des Anhaltens und Gewahrwerdens?

Solche Verweigerung läuft den Interessen der ökonomisch-rastlosen Beschleunigungsapostel zuwider. Dabei sind Konjunkturen zyklisch; sie münden in Perioden der Stagnation. Und so könnten nach allzu optimistischen Aufbruchphasen eher Rhetoriken des Innehaltens, der Besinnung und der Eindämmung unerwünschter Folgen des in die Krise geratenen Fortschrittsglaubens an Bedeutung gewinnen. Werden das Nicht-so-weiter-machen, Stehenbleiben und Stillesein - an sich bereits Formen der Auflehnung gegen den Status quo aus Rastlosigkeit und Dauerkonsum - heute zu selten thematisiert?

Kunst weiß Praktiken des Verzögerns und Stillstellens beobachtbar zu machen. Sie kann das Überdauern des Alten im Neuen reflektieren, vom Fortschritt Erledigtes und Zurückgelassenes wiederkehren lassen, vermeintlich Überkommenes, Zeitsprünge und Wirkungsfelder des Anachronistischen hinterfragen. Wo Kunstwerke die Wahrnehmung zur Ruhe kommen lassen, entstehen nicht Langeweile und Überdruss, sondern werden Einfühlung und Erkennen möglich - eine Subversion aus der Geschwindigkeitsverweigerung, die auch die Kehrseiten des Stillstands sichtbar macht.

Die Ausstellung basiert auf Idee und Konzept der Tagung „Stehende Gewässer. Medien und Zeitlichkeiten der Stagnation“ (2006) des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Graduiertenkollegs „Mediale Historiographien“ Weimar/Erfurt/Jena und auf dem Jahresthema des 12. Internationalen Atelierprogramms der ACC Galerie Weimar und der Stadt Weimar (2006/07).


Die dokumentarisch-investigative Kunst von Lene Berg befragt die Funktion von Sprache und Bildern in der Darstellung von Geschichte. Das Video „The Weimar Conspiracy“ (2007) kreist um Geschichts-, Erzähl- und Tourismuskonzepte, das „kulturelle Gedächtnis“ und den Wunsch zu vergessen. Vor dem Hintergrund von sieben Episoden eines Stadtrundgangs durchs erinnerungswütige Weimar als Ort der Stagnation fragt die Norwegerin Berg, inwiefern altbewährte Formen der Geschichtsvermittlung noch ihrer Funktion gerecht werden, wenn ein Betrachter (z.B. aufgrund seiner Herkunft) nicht in der Lage ist, die Parameter und Chiffren einer Kultur zu entschlüsseln. Dass Friedrich Nietzsche sich darüber vor Lachen kaum halten kann (und übers Lachen ganze Aufsätze verfasste), findet seinen Ausdruck in Sketches of „Nietzsche's Laughter(2007) aus einer Serie von Bewegtbildern ausgewählter Persönlichkeiten, die nie gefilmt wurden. Wie hätte sein Lachen ausgesehen, wie hätte es sich angehört?

Zu den Konsumgewohnheiten des modernen Menschen gehört bekanntlich, dass er sich massenmedial von Bildern bedienen, sich „stillen“ lässt - Ablenkungen vom Alltag und spannende Entspannung erhoffend - während bewusstes Informieren marginal und Ausrede bleibt. Schwerlich aber kann Bildern ihre Instrumentalisierbarkeit als Kardinalfehler angelastet werden, zumal sie vielmehr von der Rezeptionshaltung des Betrachters abhängt. In der Videoarbeit „Prime Time Paradise“ (2004) verwenden die Niederländer Persijn Broersen und Margit Lukács TV-Stills, durch die man sich wie in einem Flug bewegt. Ihre Anordnung erscheint im räumlichen Zusammenhang, während Inhalte gerade nicht-logisch miteinander verknüpft sind. Und die ästhetische Kraft der Bilder richtet sich gegen ihre Entwertung, die verursacht wird durch die Passivität derer, die eben nur zuschauen, und durch das Eigeninteresse derer, die eben nur senden.

That Place“ (2007), produziert vom Niederländer Raymond Taudin Chabot, vermittelt gedehnte Augenblicke aus dem Innehalten eines vermutlich recht erfolgreichen Geschäftsmannes oder bedeutenden Politikers. In seinem Gesicht erscheinen Anzeichen von Reue - Anzeichen des Unbehagens an der Rolle, die er „spielt“, des Zweifels an einem von falschen Idealen verformten Leben. Dieses Innehalten überträgt sich auf den Betrachter: Zeit für dessen Reflexion etwa über den individuellen Preis des Gewinndenkens - und dessen Repräsentation durch eine Managerästhetik, wie sie in der noch weitgehend patriarchalisch strukturierten und wohl auch daher reformbedürftigen Gesellschaft verbreitet ist.

In seinem Video „Cat and Bird in Peace“ (1996) suggeriert der Belgier David Claerbout, hier sei das Naturverhältnis von Jäger und Gejagtem, nämlich zwischen Katze und Vogel, außer Kraft gesetzt. Den Erwartungen des Betrachters läuft diese utopisch anmutende Stillstellung zuwider - ein künstlicher Zustand, durch digitale Manipulation oder Domestikation erzeugt, als künstlerisches Sinnbild. Zugleich aber bewegen sich beide Tiere minimal und deuten an, dass sich sogleich doch etwas ereignen könnte. Und diese Andeutung, diese Unsicherheit ist es, die den Raum zwischen Foto und bewegtem Bild auslotet und den Betrachter in permanentem Zweifel über ein mögliches Geschehen lässt.

Inspiriert vom Postcyberpunkroman „G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke“ (1997) von Matt Ruff (USA) entstand die großflächige Wandarbeit „G.A.S. Datenbank/Enzyklopädie“ (2007/08) der Schweizerin Claudia Hardi. Ihr zugrunde liegt eine explorative Recherche, die in „digitalen archäologischen Grabungen“ den Stories der Pop-Comic-Sci-Fi-Geschichte ebenso nachgeht wie ihren Charakteren, die Claudia Hardi mit realen Handlungsträgern vernetzt: Eine endlose Forschungsreise durch elektronische Archive, getrieben von Neugier an kulturellen Referenzen, Entdeckergeist und Erzählräumen statt von „korrekter“ wissenschaftlicher Geschichtsschreibung oder Archivierung. Der Datenflaneur verliert sich auf Umwegen nach Nirgendwo, verweilt abgelenkt an einem unvorhergesehenen Ort, schweift zwischen Widersprüchlichem und Absurdem umher, wo sich Poesie und Fakten vermischen und Bedeutsames zwischen Banalem entwischt. „1066 & All That“ (2008) ist eine Kompilation von Claudia Hardi aka F. Sigorski, ein persönlicher experimenteller Arbeitsplatz. Im Radius der Aufmerksamkeit sind: Anzeichnungen, Fußnoten, Notizen und Exzerpte aus gelesenem Material, das uns relevant erscheint, naheliegend oder weithergeholt. Es ist ein vielseitiger Informationsbereich von Annotationen, Fußnoten und Exzerpten, die durch Abscannen des Horizonts nach kulturellen Referenzen entstehen. Ob es ein Internet-Travelogue, eine Kollektion oder ein Speicherplatz sein soll, bleibt offen. „Der Wunsch, unsere Arbeitsnotizen allzeit bei uns zu haben, brachte uns auf einen Weblog als Form des Publizierens. Vom Kuriositätenkabinett beinflusst, kann das „1066 & All That“ auch als lose Dokumentation unserer Recherchen und Notizen angesehen werden. Der Inhalt: Das Bücherregal– Lesestoff und Exzerpte– kontinuierlich aufgeschrieben. Notizen über Filme, Animationen, Musikvideos, Webcams, Filmstills und Bilder über das banale Alltägliche, was meist einfach endlose Langeweile bedeutet, die vor allem mit dem Lesen von Büchern überbrückt wird.“ (Zitat: Claudia Hardi aka F. Sigorski)

Die Klanginstallation „The Song of the Century“ (1999) des US-Amerikaners Jason Salavon, von ihm ursprünglich als ein „Jahrtausendgeschenk“ für Freunde und Bekannte im CD-Format produziert, ist ein Amalgam aus 27 Versionen des wohl bekanntesten Beatles-Songs und am häufigsten aufgenommenen Stücks aus der Musikgeschichte: „Yesterday“. Dessen unverhohlene Nostalgie verliert sich bald in den Überlagerungen der Einzelaufnahmen, die gleichzeitige Wiederkehr des beinahe Gleichen konterkariert das jeweils Besondere fast bis zum belanglos Ununterscheidbaren, einem aus dem Off der Vergangenheit widerhallenden „Stillleben“, um mit thematischer Wiedererkennbarkeit versöhnlicher zu enden.

Die Videoanimation „Aurora Australis“ (2001) der Südafrikanerin Minnette Vári basiert auf der Wiederverwendung verschlüsselter Bilder aus den Kanälen des Bezahlfernsehens: Vage Bildfolgen, Störungen bis zur Unkenntlichkeit, abstraktes Klang- und Farbenspiel, das Erinnerungen an antarktische Polarlichter - die Aurora Australis - hervorruft, werden wiederholt überblendet von performativen Szenen der Künstlerin. Die verfremdende Aneignung der Unterhaltungsbanalitäten aus dem heutigen Fernsehen steht im Dienste „intellektueller und spiritueller Erleuchtung“ (Vári), konterkariert dessen allgegenwärtiges Informationsüberangebot in subtiler „Entschleunigung“ durch Informationsentzug und unterstreicht trotz allem das poetische Potenzial des populärsten Erzählmediums.

Der Brite Patrick Ward sammelt und manipuliert Fundmaterial, das er außerhalb seines Originalzusammenhangs in neuen Konstellationen zusammenfügt, um Verborgenes zu enthüllen. Das Fototriptychon „A Means to an End“ (2008) hält Standbilder aus Filmen fest, die Zeitsprünge bzw. zeitliche Referenzen ankündigen: Six months earlier, WEDNESDAY, one year later. Die Fotoserie „Unidentified Backgrounds“ (2003) bilden anonyme, geheimnisvoll „gedämpfte“ Landschaften mit weitem Himmel, in denen nicht viel passiert. Störungen im Druckbild legen einen manipulierenden Eingriff nahe: Die einst sichtbaren UFOs wurden vom Künstler „ausradiert“. Die Videoarbeit „In Order of Appearance“ (2007) verknüpft Ausschnitte von Nachspannen im Fernsehen ausgestrahlter, mittels Video aufgezeichneter Filme miteinander. Analoge Standard-VHS-Systemegestatteten beim Aufnehmen keinen klaren Schnitt, sondern verursachten sich auflösende, „verschneite“ Zwischenschnitte, Unstellen, deren Signifikanz Patrick Ward zum Objekt seines künstlerischen
Begehrens macht. Ebenso beleuchtet die vage wie direkte, in einem Zwischenraum hinter den Kulissen der Ausstellung versteckte Neonbotschaft „This is it“ (2007) mehrdeutig einen Moment an der Schwelle zur Veränderung, eine Zeitenwende.

 

 

Gefördert durch:

Lene Berg (NO), Persijn Broersen & Margit Lukács (NL), Raymond Taudin Chabot (NL), David Claerbout (BE), Claudia Hardi (CH), Jason Salavon (USA), Minnette Vári (ZA), Patrick Ward (GB)

Was Konjunkturritter, Wirtschaftsplaner, Zukunftsforscher und Wachstumsprofiteure fürchten, führt bei Anderen eher zur Entlastung von den Zumutungen des Lebens: der Stillstand, das Null-Wachstum. Das Langsamer-werden und das Zur-Ruhe-kommen verweigern sich dem Diktat des „Schneller, Höher, Weiter“ und dem Slogan des „Stillstand bedeutet Rückschritt“. Die Maxime „Weniger ist Mehr“ ließe sich so zu „Gar nicht mehr ist Alles“ steigern. Bedarf das Nachdenken über das eigene Leben und die Gesellschaft denn nicht auch des Anhaltens und Gewahrwerdens?

Solche Verweigerung läuft den Interessen der ökonomisch-rastlosen Beschleunigungsapostel zuwider. Dabei sind Konjunkturen zyklisch; sie münden in Perioden der Stagnation. Und so könnten nach allzu optimistischen Aufbruchphasen eher Rhetoriken des Innehaltens, der Besinnung und der Eindämmung unerwünschter Folgen des in die Krise geratenen Fortschrittsglaubens an Bedeutung gewinnen. Werden das Nicht-so-weiter-machen, Stehenbleiben und Stillesein - an sich bereits Formen der Auflehnung gegen den Status quo aus Rastlosigkeit und Dauerkonsum - heute zu selten thematisiert?

Kunst weiß Praktiken des Verzögerns und Stillstellens beobachtbar zu machen. Sie kann das Überdauern des Alten im Neuen reflektieren, vom Fortschritt Erledigtes und Zurückgelassenes wiederkehren lassen, vermeintlich Überkommenes, Zeitsprünge und Wirkungsfelder des Anachronistischen hinterfragen. Wo Kunstwerke die Wahrnehmung zur Ruhe kommen lassen, entstehen nicht Langeweile und Überdruss, sondern werden Einfühlung und Erkennen möglich - eine Subversion aus der Geschwindigkeitsverweigerung, die auch die Kehrseiten des Stillstands sichtbar macht.

Die Ausstellung basiert auf Idee und Konzept der Tagung „Stehende Gewässer. Medien und Zeitlichkeiten der Stagnation“ (2006) des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Graduiertenkollegs „Mediale Historiographien“ Weimar/Erfurt/Jena und auf dem Jahresthema des 12. Internationalen Atelierprogramms der ACC Galerie Weimar und der Stadt Weimar (2006/07).

Die dokumentarisch-investigative Kunst von Lene Berg befragt die Funktion von Sprache und Bildern in der Darstellung von Geschichte. Das Video „The Weimar Conspiracy“ (2007) kreist um Geschichts-, Erzähl- und Tourismuskonzepte, das „kulturelle Gedächtnis“ und den Wunsch zu vergessen. Vor dem Hintergrund von sieben Episoden eines Stadtrundgangs durchs erinnerungswütige Weimar als Ort der Stagnation fragt die Norwegerin Berg, inwiefern altbewährte Formen der Geschichtsvermittlung noch ihrer Funktion gerecht werden, wenn ein Betrachter (z.B. aufgrund seiner Herkunft) nicht in der Lage ist, die Parameter und Chiffren einer Kultur zu entschlüsseln. Dass Friedrich Nietzsche sich darüber vor Lachen kaum halten kann (und übers Lachen ganze Aufsätze verfasste), findet seinen Ausdruck in „Sketches of ‚Nietzsche's Laughter’“ (2007) aus einer Serie von Bewegtbildern ausgewählter Persönlichkeiten, die nie gefilmt wurden. Wie hätte sein Lachen ausgesehen, wie hätte es sich angehört?

Zu den Konsumgewohnheiten des modernen Menschen gehört bekanntlich, dass er sich massenmedial von Bildern bedienen, sich „stillen“ lässt - Ablenkungen vom Alltag und spannende Entspannung erhoffend - während bewusstes Informieren marginal und Ausrede bleibt. Schwerlich aber kann Bildern ihre Instrumentalisierbarkeit als Kardinalfehler angelastet werden, zumal sie vielmehr von der Rezeptionshaltung des Betrachters abhängt. In der Videoarbeit „Prime Time Paradise“ (2004) verwenden die Niederländer Persijn Broersen und Margit Lukács TV-Stills, durch die man sich wie in einem Flug bewegt. Ihre Anordnung erscheint im räumlichen Zusammenhang, während Inhalte gerade nicht-logisch miteinander verknüpft sind. Und die ästhetische Kraft der Bilder richtet sich gegen ihre Entwertung, die verursacht wird durch die Passivität derer, die eben nur zuschauen, und durch das Eigeninteresse derer, die eben nur senden.

„That Place“ (2007), produziert vom Niederländer Raymond Taudin Chabot, vermittelt gedehnte Augenblicke aus dem Innehalten eines vermutlich recht erfolgreichen Geschäftsmannes oder bedeutenden Politikers. In seinem Gesicht erscheinen Anzeichen von Reue - Anzeichen des Unbehagens an der Rolle, die er „spielt“, des Zweifels an einem von falschen Idealen verformten Leben. Dieses Innehalten überträgt sich auf den Betrachter: Zeit für dessen Reflexion etwa über den individuellen Preis des Gewinndenkens - und dessen Repräsentation durch eine Managerästhetik, wie sie in der noch weitgehend patriarchalisch strukturierten und wohl auch daher reformbedürftigen Gesellschaft verbreitet ist.

In seinem Video „Cat and Bird in Peace“ (1996) suggeriert der Belgier David Claerbout, hier sei das Naturverhältnis von Jäger und Gejagtem, nämlich zwischen Katze und Vogel, außer Kraft gesetzt. Den Erwartungen des Betrachters läuft diese utopisch anmutende Stillstellung zuwider - ein künstlicher Zustand, durch digitale Manipulation oder Domestikation erzeugt, als künstlerisches Sinnbild. Zugleich aber bewegen sich beide Tiere minimal und deuten an, dass sich sogleich doch etwas ereignen könnte. Und diese Andeutung, diese Unsicherheit ist es, die den Raum zwischen Foto und bewegtem Bild auslotet und den Betrachter in permanentem Zweifel über ein mögliches Geschehen lässt.

Inspiriert vom Postcyberpunkroman „G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke“ (1997) von Matt Ruff (USA) entstand die großflächige Wandarbeit „G.A.S. Datenbank/Enzyklopädie“ (2007/08) der Schweizerin Claudia Hardi. Ihr zugrunde liegt eine explorative Recherche, die in „digitalen archäologischen Grabungen“ den Stories der Pop-Comic-Sci-Fi-Geschichte ebenso nachgeht wie ihren Charakteren, die Claudia Hardi mit realen Handlungsträgern vernetzt: Eine endlose Forschungsreise durch elektronische Archive, getrieben von Neugier an kulturellen Referenzen, Entdeckergeist und Erzählräumen statt von „korrekter“ wissenschaftlicher Geschichtsschreibung oder Archivierung. Der Datenflaneur verliert sich auf Umwegen nach Nirgendwo, verweilt abgelenkt an einem unvorhergesehenen Ort, schweift zwischen Widersprüchlichem und Absurdem umher, wo sich Poesie und Fakten vermischen und Bedeutsames zwischen Banalem entwischt. „1066 & All That“ (2008) ist eine Kompilation von Claudia Hardi aka F. Sigorski, ein persönlicher experimenteller Arbeitsplatz. Im Radius der Aufmerksamkeit sind: Anzeichnungen, Fußnoten, Notizen und Exzerpte aus gelesenem Material, das uns relevant erscheint, naheliegend oder weithergeholt. Es ist ein vielseitiger Informationsbereich von Annotationen, Fußnoten und Exzerpten, die durch Abscannen des Horizonts nach kulturellen Referenzen entstehen. Ob es ein Internet-Travelogue, eine Kollektion oder ein Speicherplatz sein soll, bleibt offen. „Der Wunsch, unsere Arbeitsnotizen allzeit bei uns zu haben, brachte uns auf einen Weblog als Form des Publizierens. Vom Kuriositätenkabinett beinflusst, kann das „1066 & All That“ auch als lose Dokumentation unserer Recherchen und Notizen angesehen werden. Der Inhalt: Das Bücherregal– Lesestoff und Exzerpte– kontinuierlich aufgeschrieben. Notizen über Filme, Animationen, Musikvideos, Webcams, Filmstills und Bilder über das banale Alltägliche, was meist einfach endlose Langeweile bedeutet, die vor allem mit dem Lesen von Büchern überbrückt wird.“ (Zitat: Claudia Hardi aka F. Sigorski)

Die Klanginstallation „The Song of the Century“ (1999) des US-Amerikaners Jason Salavon, von ihm ursprünglich als ein „Jahrtausendgeschenk“ für Freunde und Bekannte im CD-Format produziert, ist ein Amalgam aus 27 Versionen des wohl bekanntesten Beatles-Songs und am häufigsten aufgenommenen Stücks aus der Musikgeschichte: „Yesterday“. Dessen unverhohlene Nostalgie verliert sich bald in den Überlagerungen der Einzelaufnahmen, die gleichzeitige Wiederkehr des beinahe Gleichen konterkariert das jeweils Besondere fast bis zum belanglos Ununterscheidbaren, einem aus dem Off der Vergangenheit widerhallenden „Stillleben“, um mit thematischer Wiedererkennbarkeit versöhnlicher zu enden.

Die Videoanimation „Aurora Australis“ (2001) der Südafrikanerin Minnette Vári basiert auf der Wiederverwendung verschlüsselter Bilder aus den Kanälen des Bezahlfernsehens: Vage Bildfolgen, Störungen bis zur Unkenntlichkeit, abstraktes Klang- und Farbenspiel, das Erinnerungen an antarktische Polarlichter - die Aurora Australis - hervorruft, werden wiederholt überblendet von performativen Szenen der Künstlerin. Die verfremdende Aneignung der Unterhaltungsbanalitäten aus dem heutigen Fernsehen steht im Dienste „intellektueller und spiritueller Erleuchtung“ (Vári), konterkariert dessen allgegenwärtiges Informationsüberangebot in subtiler „Entschleunigung“ durch Informationsentzug und unterstreicht trotz allem das poetische Potenzial des populärsten Erzählmediums.

Der Brite Patrick Ward sammelt und manipuliert Fundmaterial, das er außerhalb seines Originalzusammenhangs in neuen Konstellationen zusammenfügt, um Verborgenes zu enthüllen. Das Fototriptychon „A Means to an End“ (2008) hält Standbilder aus Filmen fest, die Zeitsprünge bzw. zeitliche Referenzen ankündigen: Six months earlier, WEDNESDAY, one year later. Die Fotoserie „Unidentified Backgrounds“ (2003) bilden anonyme, geheimnisvoll „gedämpfte“ Landschaften mit weitem Himmel, in denen nicht viel passiert. Störungen im Druckbild legen einen manipulierenden Eingriff nahe: Die einst sichtbaren UFOs wurden vom Künstler „ausradiert“. Die Videoarbeit „In Order of Appearance“ (2007) verknüpft Ausschnitte von Nachspannen im Fernsehen ausgestrahlter, mittels Video aufgezeichneter Filme miteinander. Analoge Standard-VHS-Systemegestatteten beim Aufnehmen keinen klaren Schnitt, sondern verursachten sich auflösende, „verschneite“ Zwischenschnitte, Unstellen, deren Signifikanz Patrick Ward zum Objekt seines künstlerischen
Begehrens macht. Ebenso beleuchtet die vage wie direkte, in einem Zwischenraum hinter den Kulissen der Ausstellung versteckte Neonbotschaft „This is it“ (2007) mehrdeutig einen Moment an der Schwelle zur Veränderung, eine Zeitenwende.


Gefördert durch: