ÜBER LEITUNGEN . INFRA STRUCTURES
22. April bis 2. Dezember 2023
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Arijit Bhattacharyya, Ursula Biemann, Ines Doujak, Deborah Kelly, Nuno Silas
DE Pipelines, Abwasserkanäle, Stromtrassen, Autobahnen, Glasfaserkabel: Unzählige Leitungen und Wegführungen stellen Verbindungen her – kommunal, national, global; bis hin zu Satelliten in der Erdumlaufbahn. Mit ihnen entstehen Fließräume, durch die sich unablässig Energien, Dinge, Menschen, Ideen und Daten bewegen. Ohne sie wären die Errungenschaften sowie alltäglichen Annehmlichkeiten moderner Gesellschaften undenkbar. Als menschengemachte Zusatznatur dienen sie uns zur Ver- und Entsorgung, zur Mobilität und Kommunikation.
Paradoxerweise bleiben diese Infrastrukturen – trotz, vielleicht auch wegen ihrer Monstrosität und Allgegenwart – meist unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle: „unterhalb“ ist die deutsche Bedeutung von „infra“. Im Untergrund und hinter Fassaden verborgen, sind sie lediglich Gegenstand technokratischer Planung. Diese Unsichtbarkeit ist durchaus strategisch. Hinter der unpolitischen Fassade verbirgt sich die tatsächliche Brisanz. Meist offenbart sich diese, wenn die beschworene Funktionalität und Effizienz stockt.
Wenn der Anschluss nicht klappt oder die Heizung ausfällt, wenn der Verkehr staut, wenn die Kosten steigen, wenn die Lieferketten reißen, vermögen die gerade noch ins gesellschaftlich Unterbewusste verbannten Versorgungssysteme tiefe politische Gefühle der Frustration zu wecken – zum Teil genügt die bloße Angst davor, abgehängt zu werden. Spätestens hier enthüllt sich der mit Infrastrukturen tief verbundene Staats-, Fortschritts- und Wachstumsfetischismus. Ihr Ausbau verspricht Zukunft, birgt aber auch ungeheures Konfliktpotenzial. Ihre Präsenz steht für die Anwesenheit des Staates. Ihr Funktionieren bedeutet gutes Regieren. Ihr Versagen kommt Staatsversagen gleich. Ihre Komplexität macht Gesellschaften verwundbar.
Zur Geogeschichte der Infrastrukturen gehören der Raubbau natürlicher Ressourcen, die Vertreibungen von Menschen, Kolonialismus und Imperialismus. Nach Außen richtet sich infrastrukturelle Gewalt mit Rücksichtlosigkeit, Enteignung, Ausbeutung und Ausschluss. Nach Innen kontrolliert sie die Versorgten mit Abhängigkeiten. Einmal errichtet, werden Infrastrukturen träge. Teuer im Unterhalt sind sie schwerfällig in der Anpassung an Wandlungsprozesse. Sie sind fest verbaute Beharrungskräfte. Doch ihre Funktionen sind keineswegs eindimensional. Sie ermächtigen, bereichern oder korrumpieren nicht nur Politik und Betreibergesellschaften. Ihre Funktionen werden von den Nutzenden zweckentfremdet und unterwandert. Gesellschaftlich können sie sogar verwandelt werden.
Die Ausstellung „über leitungen . infra structures“ widmet sich der zunehmenden gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für Infrastrukturen und präsentiert künstlerische Positionen mit dem Blick auf ihre Analyse, aber auch auf Formen ihrer Unterwanderung und Überwindung. Wie gestalten wir Infrastrukturen für eine Zukunft ohne Raubbau an Mensch und Natur?
EN Pipelines, sewers, power lines, highways, fiber-optic cables: countless conduits and routing systems establishing connections—from municipal, national and global levels up to satellites in Earth's orbit. They create fluid spaces through which energies, things, people, ideas and data are constantly moving. Without them, the achievements and everyday conveniences of modern societies would be unthinkable. As a human-made addition to nature, they provide us supply and disposal, mobility and communication.
Paradoxically, these infrastructures—despite, or perhaps because of their monstrosity and ubiquity—usually remain below the threshold of our perception: in English, “infra” means “below”. Hidden underground and behind facades, they are simply the subject matter of technocratic planning. This invisibility is strategic. Behind the apolitical facade lies the actual point of friction. This is most often revealed when their promised functionality and efficiency falter.
If the connection does not work, or the heating fails, if traffic jams, if costs rise, if supply chains break, the supply systems banished to the social subconscious awaken deep political feelings of frustration—in part, just the fear of being left behind is sufficient. At this point, the fetishism for state, progress and growth, which is deeply linked to infrastructures, is revealed. Their expansion promises the future, but also holds tremendous potential for conflict. Their presence stands for the existence of the state. Their functioning means good governance. Their failure equals state failure. Their complexity makes societies vulnerable.
The geological history of infrastructures includes the depletion of natural resources, the displacement of people, colonialism and imperialism. Infrastructural violence is directed externally through recklessness, expropriation, exploitation and exclusion. Internally, it controls those whom it supplies through dependency. Once built, infrastructures become sluggish. They are expensive to maintain and cumbersome to adapt to changing processes. They are permanently installed inertial forces. But their functions are by no means one-dimensional. They empower, enrich or corrupt not only politicians and utility companies. Their functions are misused and subverted by their users. They can even be transformed socially.
The exhibition “über leitungen . infra structures” is dedicated to increasing social attention to infrastructures and presents artistic positions with the intent of analyzing them, but also looking at forms of subverting and surmounting them. How do we design future infrastructures that don't extract from people and nature?