Ricardo Basbaum (BR), Paolo Bottarelli (IT), Rod Dickinson (GB), Ivana Franke (HR), Darsha Hewitt (CA), Satch Hoyt (GB/JM), Kapwani Kiwanga (CA/FR), Daniel Pinheiro (PT), Fabian Reimann (DE), Alberto Tadiello (IT), Suzanne Treister (GB)
Kuratiert von / Curated by:
Elena Agudio (Association of Neuroesthetics) & Michael Arzt
Die in der Ausstellung versammelten Künstler beschäftigen sich in ihren Arbeiten mit sozialer Kontrolle und dem allgegenwärtigen Feedback in unserer Gesellschaft. Jede soziale Regung in unserer heutigen Kommunikationsgesellschaft ist von Fremd- und Selbstbewertung durchdrungen. Im laufenden Ist- und Sollabgleich entsteht dadurch eine Selbstorganisation gegenseitiger Kontrolle. Diese Offenheit - alles kann stets verhandelt werden - sichert den Status quo. Abweichungen werden ermittelt, geglättet und integriert. Doch ist die Kunst Teil des Gleichgewichtsapparates Gesellschaft oder zeigt sie uns Subversionstaktiken auf? Liegt der Ausweg aus den sich beschleunigenden Feedbackschleifen in der Verweigerung von Sinn, nämlich darin die Freiheit als »Idiot« (griech.: Privatperson) zu genießen, wie der Autor Hans-Christian Dany in seinem Essay »Morgen werde ich Idiot« (2013) vorschlägt?
Innerhalb der Ausstellung besteht die Möglichkeit sich multimedial über das Thema und die Künstler weitergehend zu informieren. Dafür stellen wir Ihnen Literatur, Tonaufnahmen, Mitschnitte aus Vorträgen und vieles mehr zur Verfügung.
Künstler:
Ricardo Basbaum (BR)
Ricardo Basbaum– Künstler, Autor und Kurator– lebt und arbeitet in Rio de Janeiro (BR). In seiner Arbeit untersucht er, wie sich Kunst als ein intermediales Instrument und Plattform zwischen sensorischen Erfahrungen, Soziabilität und Sprache artikuliert. Seine Diagramme stellen Kartografien von Beziehungen dar, wie eine Art visuelles Gedicht, wobei Linien und Worte auf monochromem Hintergrund entworfen werden, um natürliche Begegnungen und Denkprozesse zu generieren. Im Kontext der Ausstellung »Kontrollmodus Feedback« steht das Diagramm für einen Entwurf spekulativer Subversion, welche etablierte Hierarchien und Ordnungsgefüge aushebeln oder als Katalysator für mögliche Störungsmomente in den Kontrollmechanismen sorgen soll.
Basbaum über sein Arbeitskonzept: »Dieser Diagramm-Effekt deutet an, dass das Kunstwerk nicht zum absoluten Selbstzweck (absolute Autonomie) gedacht ist, sondern um konkrete (reale) Verbindungen im Außen, außerhalb seiner Selbst, zu produzieren: das Vorhandensein solcher Verbindungen deutet stets auf die Existenz von externen Beziehungen– und dies verweist darauf, dass ein Gefühl sinnlicher Verzückung in der Folge dieser Beziehung erreicht werden kann, nicht nur aufgrund rein ästhetischer Gefühle. Hier werden also mögliche Verbindungsvorschläge gemacht, um ein Netzwerk oder Rhizom zu errichten, welches Nähe und Distanz zu überbrücken vermag: durch einen aktiven Impuls, der einen durch Gänge, Membrane und Ankoppelungen führt, wird ein Wert geschaffen. [...] Diese Diagramme sind Verbindungs- werkzeuge und spielen als solche eine vermittelnde Rolle zwischen verschiedenen Sachverhalten– ihre Wurzeln im Konzeptualismus liegen dort quasi auf der Schwelle: es gibt immer »unsichtbare« Ebenen, welche eine konkrete Situation nach außen hin abgrenzen; jede neue Einbringung oder Einfügung öffnet auch Türen nach außen.«
»Viele Male«, so der Künstler, »habe ich die Diagramme als Werkzeug genutzt, um meine künstlerische Praxis mit anderen Rollen im Kunstsystem zu verknüpfen– der als Schriftsteller, Kritiker, Kurator, Makler– ausgehend von der visuellen/verbalen monochromatischen Komposition, welche den Dialog mit anderen eröffnet (ja, das Diagramm beinhaltet eine dialogische Gegebenheit).
Das kann beispielsweise entweder die Position des Kuratoren-Künstlers (Kritiker-Künstlers usw.) betreffen oder es wird andererseits ein kuratorisches Statement über die Ausstellung diskutiert, in der das Diagramm gezeigt wird. Folgende Äußerung mag ich hier sehr: »Kunstkritik ist eine privilegierte Form zeitgenössischer Fiktion«. In diesem Sinne ist es immer interessant, über den Blick auf die Diagramme nach potenziellen, implizierten Fiktions-Ebenen zu suchen– des Weiteren führt jedes Diagramm zu anderen Handlungen, so wie Drehbücher für Filme angeben, was getan werden soll. Auch wenn die meisten Diagramme um das »Ich« und »Du« herum entworfen sind, geht es in der Hauptsache nicht bloß darum, dass »Ich« und »Du« bestimmte Rollen einer Handlung übernehmen, sondern darum, die Präsenz einer rhythmischen Kraft zu betonen (Musik in einem weiteren Sinne), die als hauptsächlicher Impuls eine visuelle/verbale Verbindung koordiniert.
Zitat von Ricardo Basbaum, veröffentlicht in: »Casco issues X– the great method«, Emily Pethick and Peio Aguirre (Eds.), Casco, office for art, theory, and design, Utrecht, 2007.
Paolo Bottarelli (IT)
Inspiriert von Reflexionen der Biologen Marturana und Varela aus »Autopoiesis und Kognition« zu Beginn der 1970er, erkunden Paolo Bottarellis Forschungen den Prozess der Kognition und das Konzept der Autopoiesis.
Die Gaia-Hypothese, zum ersten Mal formuliert vom englischen Wissenschaftler James Lovelock in »Gaia. A New Look at Life on Earth« (1979), sieht die gesamte Biosphäre als ein Beispiel von Symbiose auf einem globalen und universellen Level. Ein Super-Organismus, fähig zur Selbstregulation, um auf allen Leveln die Balance beizubehalten– ein physiologisches und sich selbst erhaltendes System. Entropie, Isotropie, chaotische und komplexe Systeme sind alle Teil eines einzelnen selbstgenerierenden Motors, beständig, lebend und in immerwährender Bewegung in Zeit und Raum.
Seine neue, für diese Ausstellung produzierte Installation präsentiert ein Foucaultsches Pendel. Diese Apparatur, benannt nach dem französischen Physiker Jean Bernhard Leon Foucault, ist als Experiment konzipiert, die Erdrotation durch den Effekt der Corioliskraft zu demonstrieren. Das Pendel ist nicht einsehbar im Inneren eines vier Meter hohen Holzturmes angebracht: Das Beobachten der physikalischen Demonstration der Erdrotation ist nur über eine Kamera möglich. Die Kamera, gleich einem dritten Auge der Kontrolle, filmt das Innere des Turmes. Das eigentliche Oszillieren des Pendels können die Besucher nicht wahrnehmen, außer durch einen Feedback- Mechanismus, der die Oszillation auf einem Bildschirm in der Ausstellungsfläche präsentiert. Der Feedback-Mechanismus ist ein automatischer Kontrollmechanismus, der es einer »Maschine« mit einem definierten Ziel erlaubt, sich selbst in dem Kurs seiner Funktionsweise zu regulieren, wobei Abweichungen des Programms, welches von seinem Designer zur Verfügung gestellt wurde, korrigiert werden. In diesem Dreiklang von Beobachter, Kontrolleur und zu kontrollierendem System wird der In- und Output von Information auf unabgeschlossene Weise erfahren, das Urteil der Öffentlichkeit wird zurückgehalten und das Hauptgesetz der Kybernetik unweigerlich zu Goedels Unvollständigkeitssatz geführt: In dem Akt des Beobachtens ist eine Aktivität des Selektierens, Abgrenzens und Organisierens der Daten notwendig präsent– und dies hat einen Effekt auf die absolute Objektivität des Beobachteten.
Selbst bezüglich einer solch allgemeinen Wahrheit wie der Erdrotation ist jeder Beobachter hier frei– wenn auch nur für ein paar Augenblicke– sich selbst von seiner eigenen Wahrheit davontragen zu lassen. Alles was gesagt ist, ist von einem Beobachter gesagt, und jeder Beobachter empfindet immer anders als der Nächste
Rod Dickinson (GB)
Seit den 1990er Jahren setzt sich der Künstler Rod Dickinson vor allem mit Re-enactments, Nachstellungen historischer Ereignisse, auseinander und nutzt dies als Methode um u.a. der Wirkungsweise von Glaubenssystemen oder religiösen Gruppen nachzuspüren.
Im Jahr 2002 stellte er das bekannteste Experiment zum Thema Autoritätsgehorsam nach, das 1961 von dem Psychologen Stanley Milgram an der Yale University (USA) durchgeführt worden war. Ziel des Versuches war es, die Bereitschaft durchschnittlicher Personen zu testen, Anweisungen einer Autorität auch dann Folge zu leisten, wenn sie im direkten Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen. Offiziell wurden die Testpersonen eingeladen, um an einer Studie über Erinnung und Lernvermögen teilzunehmen. Dabei übernahmen die Testpersonen die Rolle des »Lehrers« und wurden aufgefordert, den vermeintlichen Versuchspersonen in der Rolle des »Schülers« (dargestellt von Schauspielern) bei Fehlern in der Zusammensetzung von Wortpaaren Elektroschocks zu versetzen. Nach jeder Fehlleistung wurde die Intensität erhöht– bis zu maximal 450 Volt. Das Szenario wurde von einem Versuchsleiter (dargestellt von Schauspielern) überwacht.
Im Ergebnis verabreichten mehr als zwei Drittel der Testpersonen den »Schülern« die maximale Voltstärke. Die hohe Zahl der »gehorsamen« Testpersonen überraschte Milgrim und wurde weit über die Forschungslandschaft hinaus wahrgenommen und diskutiert– war das Experiment doch entwickelt worden, die Ermöglichung des NS-Terrors zu erklären. Bis heute zieht diese Untersuchung zahlreiche Erklärungsversuche und Verschwörungstheorien nach sich und hat nicht an Relevanz und Aktualität verloren.
Rod Dickinson entwickelte daraus sein Projekt »The Milgram Re-enactement«, das im Centre for Contemporary Art in Glasgow (UK) als Lifeperformance vorgestellt wurde. Der Künstler arbeitete mit einer exakten Nachbildung des ursprünglichen Labors und des Equipments– wobei er das originale Experiment als solches bereits als Re-enactment begreift, da es als inszenierte Täuschung der Testpersonen angelegt war. So wurden im Vorfeld beispielweise Schmerzensäußerungen der »Schüler« in unterschiedlicher Intensität aufgenommen und im Experiment den wirklichen Testpersonen bei Verabreichung der Elektroschocks vorgespielt. Zudem wussten die Testpersonen nicht, dass alle anderen Rollen von Schauspielern übernommen und dass sie im Grunde beobachtet wurden.
Dickinson setzt somit mit seiner Performance eine Reihe von Wiederholungen, unabhängig von Zeit und Ort, in Gang. Dabei werden die Besucher unweigerlich in den Sog dieses Themas gezogen, das die negativen Seiten des menschlichen Handelns beleuchtet. Gleichzeitig werden sie zu (un)freiwilligen Zeugen und Testpersonen, die bleiben– einfach weil sie vom Künstler dazu aufgefordert wurden.
Ivana Franke (HR)
In ihrer künstlerischen Praxis befasst sich Ivana Franke mit der Wahrnehmung visueller Impulse, die vergänglich, flüchtig und ungewiss erscheinen. Die Künstlerin lädt dazu ein, diese unwirklichen Erscheinungen als sich nicht wiederholende Epiphanien wahrzunehmen. Frankes Forschung ist vor allem von den Neurowissenschaften beeinflusst. Seit 2009 kollaboriert sie regelmäßig mit Kognitionswissenschaftlern und Forschern der Association of Neuroesthetics in Berlin.
Die Installation »From the Faraway Past and from the Future« hinterfragt unsere Perzeption und unsere Erfahrung. Der Besucher läuft durch einen dunklen Raum, in dem er durch seine Bewegungen verschiedene Lichteffekte verursacht.
»Erfahrungen fühlen und Empfindungen hervorrufen ist der Kreislauf, der unsere unmittelbare Einbindung in die Welt ausmacht […]. Als Künstlerin interessiert mich nicht nur, woraus ästhetische Erfahrung besteht, sondern auch die grundlegende Beziehung zwischen Wahrnehmung und Umgebung sowie visuelle Phänomene, die unser Denken öffnen für Unbekanntes, für Zeit und Räume, die größer sind als wir selbst und als das, dessen Teil wir sind. Aus diesem Grund begann ich mich mit der Schwelle zwischen unserer visuellen und räumlichen Wahrnehmung zu beschäftigen.
Bei Grenzerfahrungen konzentrieren wir uns auf das Unsichtbare, Nicht-Abbildbare und Nicht-Messbare hinsichtlich ästhetischer, visueller und räumlicher Bedingungen. Oftmals geht es darum, über das scheinbar Offensichtliche hinauszusehen und die Grenzen, die uns durch unsere Umgebung, durch ökonomische und politische Voraussetzungen und durch unsere Psychologie gesetzt sind, zu überwinden«.
»Exposing the Unseen: Ivana Franke on Visual Phenomena«, interview by Elaine Ritchel published online in Ikon Reviews, 04/19/2015.
Darsha Hewitt (CA)
Darsha Hewitts Arbeiten bedienen sich Geräten unseres technischen Alltags und zweckentfremden diese. Dies geschieht, indem die elektronischen Effekte, die als Nebenprodukte zur eigentlichen Nutzung auftreten, anderweitig produktiv gemacht werden. Die Möglichkeiten hierzu werden von der Transformierbarkeit elektronischer Energie ausgelotet. Hewitt geht es darum, die Physik der Elektrizität und den Inneren Abläufen von Technologie zugänglich zu machen. Ihre Zeichnungen bewegen sich hierbei irgendwo zwischen technischen Handbüchern und Comic-Strips.
Die Besucher können ein Poster mitnehmen, welches die Anleitung für eine Telefon-Feedback-Performance illustriert, die adhoc ausprobiert werden kann: Zwei Mobiltelefone sind mit ihren aktivierten Lautsprechern auf die Kommunikationseingänge des jeweils Anderen zu richten. So vermittelt, dringt das Hineingesprochene in das zweite Telefon. Erzeugt wird ein Rückkopplungseffekt (engl.: Feedback). Wird der Anleitung gefolgt, tritt den Do-it-yourself-Performern in diesem situativen Werk ein Rauschen gegenüber.
In veränderter Form stellt Hewitt auch hier die Frage nach dem Verhältnis von Medien, Kommunikation und Umwelt. Mobiltelefone sind für uns selbstverständliche Alltagsgegenstände unserer omnipräsenten populären Technikkultur– auch wenn die auf dem Poster abgebildeten Modelle wohl nur noch die Wenigsten aktiv benutzen dürften.
In den Rückkopplungen, ist das zuvor Gesprochene eventuell noch zu erahnen. Dessen Gestalt- und Kontrollierbarkeit lässt es jedoch unklar erscheinen. Im Zirkel selbstreferentieller Medienkultur scheint die letztendliche Autorschaft aus der Hand gegeben zu sein. Kommunikation ist in ihrer Fragilität stets in Gefahr– als ver- und entfremdete– in ihrem eigenen Rauschen unterzugehen.
Es bleibt die Ausgestaltung der performativen Bewegung der Mobiltelefone, die in ihrem Spin-Off als Sound jedoch eine neue, eigene Qualität hervorbringen. Ist Kommunikation verweigert, obwohl, oder gerade weil wir in dieser Hinsicht Do-it-yourself-Performer sind. Wo und wann beginnt die Verweigerung?
Satch Hoyt (GB/JM)
In den installativen Werken Satch Hoyts nimmt das musikalische Element einezentrale Rolle ein. In ihnen erforscht er, von seinem britisch-jamaikanischen Hintergrund und der historischen Zerstreuung (afro)amerikanischer Bevölkerungsteile ausgehend, eben diese Kulturelemente und Sprachformen der Black-Power-Bewegung. Die große Suche ist die nach Identität.
Die für die HALLE 14 entwickelte interaktive Soundinstallation »Sonic Transmission« besteht aus einem von der Decke hängenden Ring. Auf ihm sind 15 Mikrofone angebracht, die auf das Zentrum dieser Figur ausgerichtet sind. Die akustische Hintergrundkulisse wird gebildet von einer Soundfläche, die an zeitgenössischer Avantgarde-Musik angelehnt ist.
Diese geht allmählich über in Zeugenaussagen der aufsehenerregenden Mordfälle von Staten Island (New York, US) und Ferguson (Missouri, US) im Juli beziehungsweise August diesen Jahres. Eric Garner (43) und Michael Brown (18), beide afroamerikanischer Abstammung, wurden Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt. Jeweils ohne erkennbaren Grund wurden sie von den Polizisten um ihr Leben gebracht. Widersprüchliche Zeugenaussagen schlugen diesbezüglich hohe mediale Wellen und führten zu langanhaltenden Protesten von Bürgerrechtsbewegungen und der Öffentlichkeit, insbesondere nach dem Publikwerden von mitgeschnittenen Videos, welche die Taten dokumentieren. Vor der Folie dieses bedrückenden und traurigen Szenarios der Installation, kann sich der Besucher in den Ring stellen, so dass die Mikrofone den Kopf umschließen und die eigenen Worte eingefangen werden. Dies fließt verformt in den Klang der Installation ein.
Grausamkeit und Dramatik gehen von der Installation aus. Probleme unserer westlichen Gesellschaft werden auf eigene Weise erfahrbar, zuvorderst jedoch Betroffenheit. Womit der panoptische Ring und das auditiv Empfundene nämlich konfrontieren, sind Möglichkeiten von Interferenzen von Kontrolle und deren Mechanismen.
Daniel Pinheiro (PT)
Daniel Pinheiro ist Performancekünstler, der sich mit menschlichen Beziehungen über technologische Kanäle und der Kommunikation über diese auseinandersetzt. Dabei benutzt er immer neue Medien. Sein Ziel ist es, dass seine Projekte einen eigenen Transformationsprozess durchlaufen, sich weiterentwickeln und neu entworfen werden. Seine Videoarbeiten widmen sich dem Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Dabei beleuchtet er vor allem unsere eigene Existenz innerhalb dieser medialen Welt. Das Internet bietet ihm die Möglichkeit ein weiterreichendes anonymes Publikum zu erreichen, das seine Kunstobjekte erleben und ihm ein beträchtliches Feedback verschafft. Pinheiro versucht einen tieferen Einblick zu gewinnen und eine genauere Untersuchung zum Einfluss neuer Medien vorzunehmen, nämlich wie diese die Vorstellungen von Raum, Gegenwart und Privatsphäre ändern und modifizieren können.
»Distributed Self« ist der erste Teil einer Analyse wie digitale Präsenz in der heutigen Zeit der Internetkultur übersetzt wird. Das Werk folgt der heutigen Medienphilosophie, die hinter jedem neuen Medien-(Kunst)-Objekt steht: es ist unabhängig, gebrochen und mehrfach existent. Wenn also per Skype ein Bild von uns vermittelt wird, wird dieses multipliziert, dabei auseinandergenommen und bei unserem Gesprächspartner, neu sortiert und wieder zusammengesetzt. Es ist nun mehrfach existent.
Doch auch dabei können Verzerrungen entstehen. Ausgestellt ist eine Videoarbeit auf der ein Mann zu sehen ist, der nacheinander verschiedene Positionen durchläuft. Doch das Bild ist nicht präzise, sondern verzerrt. Einzelne Pixelzeilen des Bildes werden vom Besucher neu justiert, dadurch entsteht eine Verzerrung. Das ursprüngliche Bild ist fast bis zur Unkenntlichkeit verschoben. Im Hintergrund ertönen Vocals die Pinheiro mithilfe von Google Text-to-Speech erstellt hat mit Texten von Marshall McLuhan und Musikimpressionen von Henry Purcell und David Newfeld.
Durch die Mitwirkung der Besucher ist eine völlig neue Version des Videos beabsichtigt, die Pinheiro dann zusammenstellt. Durch diese Neuformatierung wird das eigene Handeln der einzelnen Informationen deutlich, jedes Element kann einzeln angesprochen und somit versetzt werden. Nach Lev Manovich: »Every element can be always accessed on its own«.
Fabian Reimann (DE)
Fabian Reimann beschäftigt sich mit Phänomenen der jüngeren Zeitgeschichte. Mithilfe verschiedener Medien setzt er sich mit Fiktion und Non-fiction zur Frage nach den Möglichkeiten, Geschichten und Historie zu erzählen auseinander. Dabei liegen seine Schwerpunkte auf narrativen Installationen und Raumessays.
»Simon Says and you will Follow« ist eine seiner neuesten Arbeiten. Dabei kreisen Reimanns Gedanken immer um die Frage, wie technologische Entwicklungen unsere Alltagskultur und politischen Systeme beeinflussen. Der Mensch scheint die Welt der Maschinen unter Kontrolle zu haben, doch wie schon oft in Science Fiction-Filmen gezeigt, besteht dennoch der Gedanke, dass es irgendwann dazu kommen kann, dass die Maschinen ein eigenes Bewusstsein entwickeln und der Mensch ihnen unterlegen sein wird. Ende der 1960er Jahre waren Computer vielen Menschen fremd. Erst Mitte der 1970er Jahre schien sich das zu ändern und die Computer, die an Größe und Masse verloren hatten, zogen ein in die Welt von Wohn- und Kinderzimmern. Der Computer als eine Maschine, die Arbeitsprozesse erleichtern und beschleunigen konnte, nicht eine, die beherrschte.
In Reimanns Arbeit dreht es sich um ein historisches Elektronikspiel, »Simon« genannt. Ralph Baer entwickelte 1972 »Pong«, ein simples Telespiel was einem Tennismatch mit zwei langen Strichen an der linken und rechten Seite des Bildschirmes nachempfunden war. Dann kam 1978 »Simon«. Hierbei handelt es sich um ein Gedächtnisspiel. Vier Grundfarben senden nacheinander Signale aus welches sowohl durch einen Ton als auch durch das Aufblinken einer Farbe ausgedruckt wird. Eine immer länger werdende Reihe wird vorgegeben, und die Spieler versuchen, diese nachzuahmen. Die Schwierigkeit wird erhöht durch das Erhöhen der Geschwindigkeit. Eine neue Sequenz beginnt, sobald einer der Spieler einen Fehler macht.
Simon, auf dem deutschen Markt »Senso «, ist eine Maschine, die uns unser Handeln vorgibt, sie ist ein Beschäftigungsautomat, der außerordentlich erfolgreich war. Die Menschen binden sich auch stark physisch an ihn um die Abfolge der Farb- und Tonfolgen in Simon einzuhämmern. So stellt sich bei einer strikt eindimensionalen Anwendung wie Simon die Frage, ob die Maschine bedient oder beherrscht wird und ob die Nachahmung ein Prozess ist, der nicht nur hier, sondern auch in unserem Alltag zum Vorschein kommt und ob es richtig ist, die perfekte Nachahmung gewinnen zu lassen.
Alberto Tadiello (IT)
Die Arbeit »Avorio« ist ein Triptychon aus Gussformen, die von Bäckern genutzt werden. Diese drei Kunststoffplatten dienten ursprünglich als Vorlagen, um Brotteig zu kneten. Abgenutzt, zerkratzt, verschmutzt, befleckt, ölig und gereinigt– werden sie zu einem subtil verzierten Basrelief. Ihre abstrakte Geometrie deutet eine antromorphe, menschenähnliche Physiognomie an. Es sind Köpfe ohne Gesichter. Eine sonderbare Unersättlichkeit besitzend, leben sie in einer ständigen Spiegelung, immer miteinander kommunizierend.
Installiert innerhalb dieses ungemütlichen und klaustrophobischen Raumes, symbolisieren sie kaleidoskopische Köpfe mit zahlreichen Augen, die uns anstarren. Einfach in einer Klammer gehalten, welche die Nüstern umreißen, beobachten sie uns als Stammesmasken, als Schädel voller radioaktiver Partikel. Es sind Emoticons, die sich mit leerem Blick an uns wenden: verwundert, zermürbt, unbeweglich.
Bei seiner Arbeit ließ sich der Künstler von Facettenaugen inspirieren, einem komplexen Augentyp, der bei bestimmten Insektenarten vorkommt und für deren Art und Weise der Bildwahrnehmung verantwortlich ist. Ein Auge besteht aus mehreren zehntausend Einzelaugen, sogenannten Ommatidien. Das Insekt kann sich so ein Bild seiner Umgebung aus einzelnen Bildpunkten zusammensetzen. Diese Augen variieren in Form und Ausbildung und sitzen oftmals am Hinterkopf des Insekts.
Im Kontext der Ausstellung dienen diese Augen als die stillen und unbequemen Beobachter der Kontrollgesellschaft, die ihre Geheimhaltung bereits verloren hat, nicht mehr ihre Effektivität.
Suzanne Treister (GB)
Suzanne Treister ist Pionierin der digitalen, webbasierten Medienkunst. Bereits in der frühen 1990iger Jahren begann sie Arbeiten über die aufstrebenden Technologien zu entwickeln, konstruierte fiktionale Welten, offenbarte so die Strukturen und Prozesse, die Macht, Identität und Wissen verbinden. Die Entwicklung und die Anatomie der Kontrollgesellschaft zu untersuchen ist wesentlicher Aspekt ihrer Arbeit. Das Projekt »Hexen 2.0« (2009-2011) beschäftigt sich mit den Macy Konferenzen (1946-1953), regelmäßigen Treffen von Kybernetikern und Sozialwissenschaftlern, deren Ziel es war, die Grundlagen für eine universale Theorie des menschlichen Denkens zu entwickeln und besser kontrollieren zu können: die Kybernetik. Die Künstlerin versteht die Kybernetik als wichtiges Glied in einer Kette, die zu der heutigen Überwachungsgesellschaft geführt hat. Das Internet ist für sie dabei ein gigantischer kybernetischer Feedback-Kreislauf aus Kommunikation und Kontrolle.
Als ironische Antwort auf die jüngst formierte Post-Internet-Bewegung erfand Suzanne Treister eine eigene Bewegung, die sogenannte »Post Surveillance Art« (Post-Überwachungs-Kunst), die sich auf die Entwicklungen und die Mentalität in der modernen Kontrollgesellschaft bezieht. Statt Kunst zu machen für alle, die mit dem Internet aufgewachsen sind, macht sie Kunst für alle, die in der Überwachungsgesellschaft leben. Diese präsentiert sie hier in Form von 20 Postern auf denen sie den Besucher mithilfe von Phrasen und Symbolen durch den Status quo, das Post-Snowden-Zeitalter, navigiert. Eine Poetik der Kontrolle, in der die Geheimdienste und ihre Handlungsweisen entlarvt sind, wir aber dennoch unser Leben, unsere Träume konstant »uploaden «, und uns mitschuldig machen an den riesigen Datensammlungen der Regierungen.
Mögen wir diesen Zustand? Können wir diese Entwicklung überhaupt noch umkehren oder ist die Privatsphäre vielleicht einfach nur eine sonderbare, altmodische Idee?
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